Die drei großen Herausforderungen für die Infrastrukturbranche

Stuttgart 21, Berliner Flughafen, Langzeitbaustellen auf deutschen Autobahnen – Infrastrukturprojekte in Deutschland sorgen häufig für Negativschlagzeilen. Verantwortlich sind dafür ganz verschiedene Faktoren, Arbeitsbereiche und Interessensgruppen; Unterbau ist eben vielschichtig. Genauso komplex wie die Infrastruktur selbst, ist demnach auch die Krise, in der sie sich nun befindet.
Drei große Herausforderungen lassen sich, für mich, aus all den beteiligten Aspekten herausarbeiten:

  1. Globale Marodität
  2. Fehlende Bewusstseinsbildung bei den „Erschaffern“ und „Nutzern“ von Infrastruktur
  3. Schlechtes Image und fehlende Kompetenz von Infrastrukturprojekten

Wie kann also die Infrastrukturbranche mit ihren eigenen Großbaustellen umgehen?

Erste Herausforderung: Globale, marode Zustände

Die aktuelle Presse schildert uns eine Vielzahl an Schreckensszenarien. Eines der gravierendsten beruht auf neuesten Schätzungen von WHO und UNICEF, laut derer 663 Millionen Menschen kein sauberes Trinkwasser haben und jeder Dritte – 2,4 Milliarden Menschen – hat weder eine Toilette noch Latrine zur Verfügung.

Doch nicht nur diese unmittelbar lebensbedrohlichen Szenarien geben Grund zur Sorge: Auch das Straßen und Verkehrswesen weist dramatische Zustände auf. In den USA gehören riesige Schlaglöcher, einbrechende Brücken und platzende Wasserleitungen auf Hauptgeschäftsstraßen zum alltäglichen Anblick. Hier herrscht das reine Verkehrschaos und der Grund dafür liegt nicht in einem Mangel an Straßen, sondern an ihrem schlechten Zustand.

Wir hier in Deutschland sollten uns aber zuerst den nationalen Herausforderungen widmen, von denen es ebenfalls genügend gibt. Dazu zählt u.a. die Tatsache, dass 46 Prozent der Deutschen Brücken an Bundesfernstraßen einen kritischen Wert überschritten haben. Das Institut der deutschen Wirtschaft spricht in einer Studie sogar davon, „dass die Verkehrsinfrastruktur dabei ist, sich von einem Standortvorteil zu einem Standortproblem zu entwickeln“.

Globaler Bedarf an Erneuerung

Angesichts dieser Lage ist unbestritten, dass ein dringender Bedarf darin besteht, die veraltete Infrastruktur zu erneuern. Und dieser Bedarf ist nicht nur in Deutschland oder in den USA sichtbar, sondern an vielen Orten weltweit.

„Infrastruktur“ bedeutet Unterbau – in Deutschland war und ist dieser Unterbau das Fundament für eine der produktivsten Volkswirtschaften der Welt und ein Garant für Wohlstand. Doch dieses Fundament ist mürbe geworden – Straßen, Schienen- und Wasserwege, Energie- und Telefonnetze verkommen. Experten sprechen in diesem Zusammenhang bereits von einer „tickende Zeitbombe“, die sich auch im internationalen Vergleich niederschlägt. Laut Global Competitiveness Report 2015 rangiert Deutschland als einstiges Vorzeigeland mittlerweile nur noch auf Rang 7 – in „guter“ Gesellschaft mit dem restlichen „Old Europe“. Ein Indiz mehr dafür, dass in Europa zu lange Stillstand herrschte.

Das zeigt das Beispiel der eingangs erwähnten Brücken in Deutschland. Verkehrsanlagen wie Brücken haben eine durchschnittliche Lebensdauer von 40 bis 45 Jahren. Da viele Brücken in den Nachkriegsjahren gebaut wurden, erreichen sie jetzt die Grenze ihrer Lebensdauer. Doch Vorsorgen wurden nicht getroffen. Im Gegenteil: Während immer wieder neu gebaut wurde, hat man für die Sanierung und Instandhaltung kaum Mittel einkalkuliert. Zudem machen auch das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum sowie die große Zuwanderung in Großstädte Investitionen in elementare Infrastruktursysteme wie Wasser, Strom und Telekommunikation unabdingbar. Immerhin sind sich in dieser Hinsicht ausnahmsweise Politik, Wirtschaft und Wissenschaft einig: Der Staat muss JETZT mehr in die Infrastruktur in Deutschland investieren.

Eine Erkenntnis, die global bereits umgesetzt wird, denn um dem wachsenden Bedarf einer Modernisierung gerecht zu werden, investieren Regierungen und Anleger weltweit verstärkt in unterschiedliche Infrastrukturprojekte, z. B. China: 6.000 Mrd. US-Dollar in den kommenden zehn Jahren, Großbritannien 375 Mrd. US-Dollar bis 2030 und USA 302 Mrd. US-Dollar für die nächsten vier Jahre.

Zweite Herausforderung: Fehlende Bewusstseinsbildung bei „Erschaffern“ und „Nutzern“ von Infrastruktur

Seitens der Nutzer der Infrastruktur existiert zu wenig Interesse an der Infrastruktur selbst. Im Fokus steht das Produkt, das der Nutzer über die Infrastruktur erhält, aber nicht welche Abläufe, Strukturen und Kosten dahinterstehen (z. B. Ausbau des Breitbandnetzes). Dabei ist in vielen Bereichen die Qualität des „Produkts“ stark abhängig von der zugrunde liegenden Infrastruktur.

Die Erschaffer der Infrastruktur generieren in dieser Hinsicht nicht genügend Aufmerksamkeit und zu wenig Transparenz – z. B. bleibt meistens der Preis für Infrastruktur, insbesondere bei der indirekten Nutzung, nicht nachvollziehbar für den Nutzer. Demnach wird die Qualität der Infrastruktur vom Nutzer als gegeben und als nicht beeinflussbar wahrgenommen. Das Resultat ist eine gewisse Lethargie, mit der die Infrastrukturbranche beim Nutzer aufgefasst wird: „Ich zahle irgendetwas für irgendeine Qualität – und auf beides habe ich keinen Einfluss!“

Dritte Herausforderung: Schlechtes Image und fehlende Kompetenz bei Infrastrukturprojekten

Die Infrastruktur hat seit jeher mit einem schlechten Ruf zu kämpfen: Öffentliche Verkehrsmittel zu spät, Bauprojekte zu teuer, Städte nicht sauber und verstopft. Zudem häufen sich Negativschlagzeilen zu großen Infrastrukturprojekten wie der Berliner Flughafen, der Stuttgarter Bahnhof oder über all die überfüllten Innenstädte, die von Staus und Parkplatzmangel geprägt sind.

Gegen diese negativen Empfindungen können wir ankommen, wenn wir für eine andere öffentliche Wahrnehmung einstehen und deutlich mehr Transparenz wagen. Als Berater von Infrastrukturbetreibern rate ich dazu, die Unwissenheit des Nutzers durch eine erhöhte Bewusstseinsbildung zu ersetzen. In der Praxis heißt das, dem Kunden zu sagen, was ihn seine gepolsterten Sitze in der Straßenbahn eigentlich kosten. Wir müssen über komplexe Großprojekte aufklären, nicht über diejenigen, die ohnehin in der Presse erscheinen, weil sie nicht planmäßig laufen, sondern über die, die erfolgreich umgesetzt werden – und dafür benötigen wir dringend Investitionen in die Infrastruktur.

Mehr Kundenorientierung in der Infrastrukturbranche

Infrastrukturbetreiber müssen selbst aktiv werden! Zu ihrem Beruf und ihrer Professionalität gehört eben diese positive Aufmerksamkeit, die sie für ihre Projekte erzeugen müssen. Sie müssen gezielt auf ihre Produkte und deren Nutzen aufmerksam machen und sich am Kunden orientieren. Das ist insofern eine Herausforderung, weil man schon alleine die Anforderungen seiner Stakeholder zu wenig kennt, bzw. die sehr unterschiedlichen Ansprüche nur schwierig zu einem einheitlichen Wertegerüst vereinbaren kann. Von Kundenorientierung ganz zu schweigen.

Infrastrukturbetreiber in den Niederlanden und Großbritannien sind da einen wichtigen Schritt weiter: Sie kennen die Bedürfnisse ihrer Kunden und wissen, wie viel und für was der Kunde bereit ist zu zahlen. Ein weiteres Defizit ist die fehlende „Bauherren-Kompetenz“. Immer häufiger sind Infrastrukturbetreiber aufgrund von mangelhaftem Fachwissen mit der Heerschar an operativen Dienstleistern überfordert – das nenne ich: Der Schwanz wackelt mit dem Hund oder anders ausgedrückt: eine gefährliche Umkehrung der Kompetenzen!

Fazit: Es gibt auch Lichtblicke

Nach all diesen Negativbeispielen ist abschließend darauf hinzuweisen, dass bei weitem nicht alles schlecht ist. Im Gegenteil, es gibt auch Erfolgsgeschichten und globale Vorbilder: Im Bereich Verkehrswege und -bauten ist hier der Nahverkehrsbetreiber MTR aus Hongkong zu nennen, der sich ausschließlich durch seine Ticketpreise finanzieren muss und dem dies auch gelingt. Er ist aber nicht nur kosteneffizient, sondern weist dazu noch verschwindend niedrige Verspätungszeiten auf.

Wichtig für uns in Deutschland ist, dass ein Umdenken bei den Nutzern stattfindet, das wiederum durch mehr Transparenz von Seiten der Infrastrukturbetreiber hervorgerufen wird. Um diese Ziele zu erreichen, können sich die Betreiber an den Methoden des Value Based Asset Managements orientieren. Wer diesen Weg einschlägt, steht für nachvollziehbares, zielgerichtetes Handeln, für aktive Entscheider und operative Mitarbeiter. Als Experte in der Infrastrukturbranche setze ich mich dafür ein, dass wir uns darauf konzentrieren, Deutschland wieder als Standortvorteil und weniger als Standortproblem zu sehen und gemeinsam daran arbeiten, diesen Anspruch umzusetzen.

 

┬®SilviaBins_6494WEITERE BLOGEINTRÄGE VON LARS OVERDIEK

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