Jeder nutzt sie, jeder braucht sie. Sie ist eine Selbstverständlichkeit im Alltag und trotzdem für viele die große Unbekannte – die Infrastruktur. Und dieses Problem besteht nicht nur in die eine, sondern auch in die andere Richtung: Nutzer kennen ihre Infrastruktur nicht und Infrastrukturunternehmen kennen ihre Nutzer nicht. Diese fehlende Transparenz provoziert Unverständnis, teure Preise und ein schlechtes Image von Infrastrukturprojekten. Wie können wir das ändern?
Was ist eigentlich Infrastruktur?
Angesichts der allgemein verbreiteten Unpopularität von Infrastruktur kann eine kurze Erläuterung des Begriffs Infrastruktur nicht schaden: Die Infrastruktur ist der Unterbau. Sie vereint sämtliche langlebige Einrichtungen materieller oder institutioneller Art, die für eine funktionierende Volkswirtschaft elementar sind. Sie ist die Grundausstattung einer Volkswirtschaft. Zur Infrastruktur zählen physische Bauten wie Energie- und Wassernetze, Verkehrswege, Verkehrsbauten sowie Kommunikationsnetze. Demnach werden sie von allen Menschen in Anspruch genommen und als selbstverständlich wahrgenommen, entweder auf direktem Weg (mit der Bahn oder dem Auto zur Arbeit fahren) oder auf indirektem Weg (Bananen kaufen im Supermarkt, die einen langen Transportweg über Schienen, Wasser und Straßen hinter sich haben).
Das Problem der Intransparenz
Trotz ihres großen Stellenwerts für Wirtschaft und Gesellschaft kämpft die Infrastruktur mit einer gewissen Leidenschaftslosigkeit auf Seiten der Nutzer. Eine funktionierende Infrastruktur ist schließlich eine Selbstverständlichkeit, wird dieser reibungslose Ablauf jedoch gestört, reagieren viele mit Unverständnis. Was fehlt ist das Bewusstsein für dahinterstehende Prozesse. Das wirkt sich ebenfalls auf die Preisbildung für Infrastruktur aus, die insbesondere bei der indirekten Nutzung, intransparent bleibt. Die Nutzer haben keine andere Möglichkeit als die jeweils gebotene Qualität als gegeben und unveränderbar anzusehen.
Genau diese Faktoren führen zu einer negativen Sichtweise, einer gefühlten Machtlosigkeit und einem großen Desinteresse, mit der die Nutzer ihrer Infrastruktur begegnen. Als Experte dieser Branche weiß ich, dass dieser Mangel zudem beidseitig zu beklagen ist – bei Nutzern und Infrastrukturbetreibern. Diese kämpfen mit den verschiedenen Anforderungen ihrer Stakeholder, denen sie bei der Umsetzung ihrer Projekte kaum gerecht werden können, hauptsächlich, weil sie die jeweiligen Bedürfnisse nicht gut genug kennen.
Verschiedene Stakeholder, verschiedene Interessen
Bei den Betreibern fehlt jegliche Transparenz hinsichtlich der Anforderungen ihrer Stakeholder – die Nutzer stellen dabei nur eine der involvierten Interessengruppen dar. Deshalb müssen sich Infrastrukturbetreiber zuerst gezielt fragen: Wer ist überhaupt mein Kunde? Sind es tatsächlich die Nutzer, die Kapitalgeber oder die Kommune?
Die „Kunden“ unterscheiden sich – demnach sind auch die individuellen Anforderungen teilweise sehr divergent. Notwendig ist eine gezielte, transparente Werteermittlung, die auch durch eine systematische Bedarfsanalyse auf beiden Seiten gewährleistet werden kann. Mithilfe der Analyse kann beurteilt werden, was den Stakeholdern wichtig ist und wie viel sie bereit sind, dafür zu bezahlen. Auf dieser Basis lassen sich auch überall dort Kosten einsparen, wo die Ausgaben zwar dem Qualitätsanspruch des Deutschen Ingenieurswesens entsprechen, jedoch für die jeweiligen Stakeholder keinen Nutzen bringen:
Fragen Sie sich doch mal als Nutzer, warum Sie bei der Bahn genau so viel Geld für einen Sitzplatz wie für einen Stehplatz bezahlen – einen Stehplatz, den es ja überhaupt nicht gibt. Sie würden aber vielleicht gerne stehen, wenn sie dafür nur die Hälfte des normalen Preises zu zahlen hätten? Und müssen sie in der U-Bahn auf Stoffsitzen Platz nehmen? Würden Ihnen nicht auch Kunststoffschalen ausreichen, die zur Folge hätten, dass der Ticketpreis halbiert würde?
Zumindest hätten Sie jetzt bestimmt das Interesse daran, überhaupt nach solchen Entscheidungen gefragt zu werden.
Wie Asset Management zu einer nachhaltigen Stakeholder-Ausrichtung beiträgt
Um diesem Ziel einer bedarfsgerechten Infrastruktur näher zu kommen, stehen uns geeignete Werkzeuge zur Verfügung. Das Leitbild des Wertebasierten Asset Managements erlaubt, die Arbeit der Infrastrukturbetreiber ganzheitlich – Strategie, Investition, Entscheidungen – an den Anforderungen der Stakeholder auszurichten. Die Folge sind ein zielgerichtetes, transparentes Handeln, eigenverantwortliche Entscheider und aktive Mitarbeiter. Voraussetzung dafür ist ein intensiver Dialog zwischen Stakeholdern, Betreibern und Kunden.
Wie das in der Praxis sehr erfolgreich aussehen kann, zeigt Southern Water. Der große Wassernetzbetreiber in Südengland hat ein massives 18-monatiges Kunden-Dialog-Programm aufgelegt, das den Startschuss für eine nachhaltige Stakeholder-Ausrichtung sein soll. Im Ergebnis liegt nunmehr ein veröffentlichter 5-Jahres-Businessplan für das Asset Management vor, der die Erfüllung der quantitativ konkret festgelegten Prioritäten der Stakeholder gewährleisten soll. Southern Water kennt damit den individuellen Qualitätsbegriff seiner Kunden und ist aufgrund der fortlaufenden, steten Kommunikation in der Lage, seine technischen Maßnahmen immer auf den jeweiligen Kundennutzen und den Preis, den sie für einen konkreten Service bereit sind zu zahlen, abzustimmen.
Fazit – ein zufriedener Kunde ist möglich
Als Berater für Infrastrukturbetreiber, Coach und Unternehmer möchte ich Infrastruktur zu einem attraktiven Image verhelfen und betriebliche Abläufe und Strukturen weiter verbessern. Beispiele wie Southern Water zeigen, dass es durchaus möglich ist, die verschiedenen Ansprüche der Stakeholder zu definieren und im Rahmen des Wertebasierten Asset Managements effizient und effektiv umzusetzen. Was wir dafür benötigen ist Zeit, Aufklärung und den Mut für diesen offenen, intensiven Dialog. Dieser wird aber beim Kunden sukzessive zu mehr Aufmerksamkeit, Interesse und Zufriedenheit mit der Infrastruktur führen.
Author: Lars Overdiek