Warum ich in Hongkong zur Arbeit pendeln möchte.

Ich wohne in einer deutschen Großstadt und pendele täglich zur Arbeit. Irgendwann habe ich es mir abgewöhnt, mich an dem offiziellen Fahrplan zu orientieren. Warum? Weil besonders zu den Stoßzeiten morgens und abends kaum Verlass auf den Fahrplan ist. Verspätungen und Zugausfälle sind leider die Regel als die Ausnahme und auch die Anzeigetafeln am Bahnsteig definieren die Dauer von drei Minuten mitunter völlig neu. Um zu verstehen, dass es auch anders und vor allem besser geht, lohnt sich ein Blick nach Asien.

Hongkong, das Schlaraffenland für Pendler

In Hongkong wird das Schienennetz von der MTR Corporation Ltd. betrieben. Dessen größter Anteilseigner ist mit ca. 77% die Regierung von Hongkong (eine Mehrzahl von verschiedenen Finanzdienstleistern und Fonds, wie z. B. BlackRock oder The Vanguard Group, teilen sich ca. weitere 33%). Warum ist gerade dieses Unternehmen ein Vorbild in Sachen Infrastruktur? Ganz einfach: es verspricht nicht nur einen exzellenten Service, sondern bietet diesen auch. Die MTR wurde bereits mehrfach ausgezeichnet und zählt zu den besten Schienennetzbetreibern der Welt in den Kategorien Sicherheit, Zuverlässigkeit, Kundenservice und Kosteneffizienz. Sie glauben mir nicht? Dann sind hier ein paar Fakten: von Juli bis September 2017 waren 99,9% aller Züge pünktlich (bei einer Frequenz von nur wenigen Minuten). Im gleichen Zeitraum gab es lediglich dreizehn Verspätungen von mehr als 20 Minuten für die ca. 500 Mio. beförderten Personen. Die Züge fahren im Schnitt fast 4,5 Mio. km bevor sie aus technischen Gründen eine Verspätung von über fünf Minuten erzeugen. Rolltreppen und Fahrstühle sind zu 99,9% zuverlässig. Und auch für das Wohlbefinden der Kunden wird gesorgt. MTR hat sich das Ziel gesetzt, die Temperatur in den Zügen konstant bei 26 Grad Celsius in den Zügen zu halten. Natürlich konnte dies auch zu 99,9% gewährleistet werden. Zusätzlich werden die Züge täglich von innen und durchschnittlich alle zwei Tage von außen gereinigt. Die durch diese Qualität erreichte Kundenzufriedenheit kann sich sehen lassen: im Schnitt gehen pro 1 Mio. Fahrgäste nur 1,74 Beschwerden ein. Trotz enormer Instandhaltungskosten, schafft es die MTR Corporation seit nun über zehn Jahren in Folge eine stetig positiv wachsende Rendite an ihre Shareholder auszuzahlen: im Jahr 2014 waren es 2,69 HK$ pro Aktie.

Deutschland, der Albtraum für Pendler

Für Berufspendler ist die MTR in Hongkong noch aus einem anderen Grund ein hervorragendes Transportmittel: Die MTR Corporation bietet verschiedene Monatskarten z. B. für verschiedene U-Bahn-Linien an, so dass man nur für die Strecken bezahlt, die man auch tatsächlich auch benutzt. Alle zusätzlichen Fahrten lassen sich sehr kostengünstig bei Bedarf dazu buchen und extra bezahlen. Im Vergleich dazu sind wir in Deutschland von so einem Nahverkehrsmittel meilenweit entfernt. Die Qualität des deutschen Nahverkehrs lässt an unzähligen Stellen zu wünschen übrig. Die Struktur und Rahmenbedingungen von Infrastruktur ermöglichen es den Betreibern oftmals nicht einen zufriedenstellenden Service aufzubauen. Schuld sind komplizierte Genehmigungsverfahren, verständnisferne Eigentümer, behördliche Strukturen, aber eben auch, dass der Nahverkehr eher als Daseinsvorsorge denn als Dienstleistung gesehen wird. So ist demnach auch die Einstellung vieler Kunden: das muss durch Subventionen möglichst billig sein und ist sowieso alles schlecht. Diese Faktoren resultieren ultimativ dann in verspätete und überfüllte Bahnen, die oft auch noch ersatzlos ausfallen, verschmutzte Abteile und Bahnstationen sowie defekte Rolltreppen und Fahrstühle. Wer fährt da noch gerne Bahn? Darüber hinaus hinken die deutschen Nahverkehrsunternehmen auch in finanzieller Hinsicht dem Musterschüler aus Hongkong hinterher: in Deutschland existiert praktisch kein Nahverkehrsunternehmen, dass sich ohne die Zufuhr von öffentlichen Geldern über Wasser halten kann. Bei ständig überfüllten Bahnen wundert man sich schon, warum die Betreiber nicht profitabel sind und 90 Mio. € Verlust als Erfolg verkaufen. Für die Betreiber sieht es zudem so aus, als wenn die Probleme nie in den Griff zu bekommen sind.

Der Schlüssel zum Erfolg ist nicht tief vergraben

Dabei gibt es Erfolgsgeschichten, die beweisen, dass das Modell der MTR auch auf europäische Nahverkehre übertragbar ist: Die London Overground ist ein S-Bahn-ähnliches Eisenbahnnetz in London, dass seit 2007 von der MTR Corporation betrieben wird. Seitdem hat sich die Frequenz des Verkehres verdreifacht und die Zahl der Passagiere verfünffacht. Die Pünktlichkeit ist von 91% auf 96% und die Kundenzufriedenheit von 69% auf 92% gestiegen. Die Tunnelbahn in Stockholm wird seit 2009 von der MTR Stockholm, einer Tochtergesellschaft der MTR Corporation, betrieben. Durch effizientere Instandhaltungsprozesse können heute für 10% mehr Passagiere 10% weniger Züge eingesetzt werden, die Pünktlichkeit der Züge ist von knapp 93% auf 96% gestiegen, die Mitarbeiterzufriedenheit von 32% auf 86% und die Kundenzufriedenheit ist seitdem konstant bei 80%.

Diese Erfolgsgeschichten zeigen, dass es durch das moderne Management seiner Infrastruktur sehr gut möglich ist, dessen Leistungsfähigkeit zu verbessern und dabei nachhaltig und profitabel zu wirtschaften. Aber wie genau funktioniert das? Die Antwort liegt im wertebasierten Asset Management. Das Leitbild des wertebasierten Asset Managements ist ein Ansatz, um den Infrastrukturbetreiber ganzheitlich an den Anforderungen der Stakeholder auszurichten. Dieses Prinzip hat die MTR Corporation verinnerlicht und führt einen regelmäßigen und intensiven Dialog mit ihren Stakeholdern, um einen nachhaltigen Wert für die Infrastruktur der Stadt zu stiften. Dazu benutzt die MTR Corporation einen ganzheitlichen, stringenten und strategischen Asset-Management-Plan, dessen Kernelemente die Zustandsbewertung und die Analyse jeder Instandhaltungsmaßnahme sind. Diese Herangehensweise lässt sich sehr gut nach der Übernahme der London Overground erkennen. Nach der Übernahme wurde zunächst viel Geld investiert, um das Netz mit all seinen Komponenten zu verstehen. Jede Veränderung an seinen Bestandteilen, jedes Anziehen einer Schraube, wurde penibel dokumentiert und analysiert. Trat infolgedessen ein Fehler auf, stellte man sich die Frage nach der Ursache: War es die Schraube, eine falsche Mutter, der Zeitpunkt der Veränderung oder eventuell das falsche Werkzeug? Genau in diesen einzelnen Maßnahmen liegt das Geheimnis von MTR.

Auch bei uns besteht noch berechtigte Hoffnung

Ist dieses Modell übertragbar auf den deutschen Nahverkehr? Ja, absolut. Zum einen dürfen wir nicht das Pferd von hinten aufzäumen, sondern müssen die Probleme an der Basis anpacken. Dazu bedarf es aber zuallererst zweier grundlegender Veränderungen: erstens eines kulturellen Wandels bei den Schienennetzbetreibern durch die Erkenntnis, dass sie sich von einem Daseinsvorsorge-Unternehmen zu einem Serviceunternehmen entwickeln müssen und, zweitens, der Bereitschaft der Betreiber in ihr Netz zu investieren, um dieses umfassend kennenzulernen. Nur so können die richtigen Schlüsse für das Unternehmen auf allen Ebenen gezogen werden. Dafür müssen alle Stakeholder eingebunden werden – vom Mitarbeiter über Dienstleister bis zum Kunden. Zum anderen muss mehr Vertrauen in die handelnden Unternehmen gesteckt werden, Stichwort Öffentlich-Private-Partnerschaften. Lasst die Unternehmen einfach mal machen. Ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen zeigt, wie man es nicht macht. Bei der Ausschreibung zum Betrieb des Rhein-Rhur-Expresses war schon in der Ausschreibung alles zum Betrieb und insbesondere zur Instandhaltung der nächsten 30 Jahre vorgegeben. So bleibt den Betreibern aber nur noch wenig Spielraum.

Wie kann dieses wichtige Thema angegangen werden? Dafür müssen verschiedenste Fragen gestellt werden: Wer sind eigentlich meine Stakeholder? Und was erwarten sie von mir als Schienennetzbetreiber? Welchen Wert möchte ich als Schienennetzbetreiber stiften? Und welche Maßnahmen sind dafür notwendig? Mit meinem Unternehmen meliorate stehe ich seit 2011 Infrastruktureigentümern und -betreibern bei diesen und anderen Fragestellungen rund um ein professionelles Asset Management zur Seite.

 

 

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