„Bitte nicht noch mehr Kennzahlen!“ – ein pragmatischer Weg zur Steuerung eines Infrastrukturbetreibers

 

Obwohl das Problem eigentlich kein aktuelles, sondern ein generelles ist, bin ich ein weiteres Mal darauf aufmerksam geworden als ich in der letzten Woche eine Konferenz zum Thema Asset Management besuchte. Als das Thema des nächsten Vortrags eingeblendet wurde, stöhnte mein Sitznachbar auf: „Schon wenn ich Kennzahlen höre, stellen sich mir die Nackenhaare hoch. Wahrscheinlich wurde dort die 350. Kennzahl erfunden und der ausufernde Report, den sowieso keiner mehr liest, noch einmal erweitert.“ Ich konnte seinen Kommentar nur zu gut nachvollziehen, sehe ich in meinem Umfeld immer wieder das gleiche Problem: Um im Urwald aus Anforderungen vom Management, Kollegen, Lieferanten, Regulatoren, Risikoabschätzungen und Kostendruck den Durchblick zu behalten, wird meist intuitiv mit neuen Kennzahlen reagiert. Mit dieseen werden dann Reports oftmals aufgebläht und in den meisten Fällen am eigentlichen Steuerungsbedarf vorbei entwickelt. Nur zu häufig erfüllen diese Kennzahlen bzw. Reports nicht den gewünschten Effekt. Es ist nicht klar was genau mit den Kennzahlen gesteuert werden soll, für wen die Reports eigentlich sind und welche Risiken vorhanden sind. Zudem existieren teilweise redundante Kennzahlen mit unterschiedlichen Aussagen und überhaupt ist der Zeitbedarf für das Lesen und Analysieren oftmals zu hoch. So geht der Mehrwert von Kennzahlen verloren und produziert lediglich administrativen Mehraufwand. Dabei können Infrastrukturbetreiber über wenige, geeignete Kennzahlen die Anforderungen und das Meistern der Herausforderungen im Alltag steuern und pragmatisch meistern.  

Weniger ist mehr 

Viel hilft viel – nach diesem Motto verfahren viele Unternehmen bei der Implementierung von Steuerungswerkzeugen. Aber fleißig Reports zu schreiben, ist kein Selbstzweck. Weniger ist hier oftmals mehr: es geht nicht darum möglichst viele, sondern die wenige aber dafür brauchbare Kennzahlen einzuführen. Alles andere kann als Ballast abgeworfen werden. Dies gilt sowohl für die Einführung eines neuen Steuerungssystems als auch für die Optimierung eines bereit vorhandenen. In beiden Fällen muss als Ausgangspunkt jedes Unternehmen daher drei Fragen für sich beantworten: 1. Was will ich steuern? 2. Wie will ich steuern? 3. Welche Informationen benötige ich um so steuern zu können? Erst dann kann der eigentliche Prozess hin zu den richtigen Kennzahlen gestartet werden. Doch welches sind die richtigen Kennzahlen? Dies ist natürlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich und vor allem von der Wertebasis abhängig. Dem Konzept des wertebasierten Asset Managements folgend müssen daher in einem ersten Schritt die relevanten Stakeholder und ihre Werte ermittelt werden.  

Kleiner Exkurs zur Wertebasis:

Werte stellen die finanziellen und nicht-finanziellen Anforderungen relevanter Stakeholder dar. Warum sind die Werte so wichtig? Stellen Sie sich hierzu ein Infrastrukturunternehmen als eine Koalition von Stakeholdern vor, alle mit spezifischen Anforderungen zur Führung des Unternehmens mit seinen Assets. Diese Anforderungen müssen in den Werten untergebracht und die Umsetzung gesteuert werden. Gelingt dies nicht, droht die Koalition auseinanderzubrechen. Aus den Werten ergibt sich letztendlich die Wertebasis eines Unternehmens, auf der dann strategische und operative Entscheidungsprozesse wie z. B. ein Kennzahlensystem aufgebaut werden können.  

Mit der Wertebasis werden dann pragmatisch die Ziele des Unternehmens noch einmal angepasst und sinnvolle Kennzahlen eingebracht. In der Summe entsteht so ein Steuerungssystem, welches das Portfolio der Kennzahlen sowie die Verwendung im Reporting darstellt und das Unternehmen dann über die Werte von ganz oben bis auf die operative Ebene steuert. Soweit der übergeordnete Ansatz, jetzt wird es aber erst richtig interessant.  

Es gibt so viele Kennzahlen, wie finde ich die richtigen? 

Vollumfänglich aufgebaut kann ein Steuerungssystem auch unternehmensübergreifend integriert sein und technische Dienstleister miteinbeziehen. So würde auch dem Ziel des Asset Managements entsprochen, eine durchgängige „Line-of-Sight“ über alle Ebenen der Wertschöpfung zu etablieren. Zusätzlich kann damit ein effektiver„Durchgriff“ und eine Entscheidungshilfe auf operativer Ebene geschaffen werden. Bevor das ganz große Rad gedreht wird, ist es jedoch wichtig zu bedenken, dass auch eine Integration über verschiedene Rollen (Asset Owner, Asset Manager, Asset Service) in kleinen Schritten erreicht werden kann. Hierzu kann zum Beispiel über agile Methoden wie Scrum eine initiale Teilstruktur aufgesetzt werden bevor anschließend Schritt für Schritt eine umfängliche Integration über alle Rollen implementiert wird.  

Ausgehend von der Definitionssystematik folgt das Steuerungssystem üblicherweise einem top-down-Ansatz, bei dem der Asset Owner die ermittelten Werte und Ziele an die verschiedenen Rollen kommuniziert. Nun ist es aber so, dass für jede Rolle teilweise unterschiedliche Kennzahlen Relevanz haben. Um die passenden Kennzahlen auszuwählen, werden diese im Steuerungssystem gruppiert. Hier ist eine Einteilung in finanzielle, strategische und operative Kennzahlen üblich. Wie können konkrete Beispiele für Asset Owner, Asset Manager und Asset Service aussehen? Der Asset Owner hat beispielsweise besonderes Interesse an Ertrags- und Renditekennzahlen. Für den Asset Manager hingegen haben auf der strategischen Ebene z. B. Risikokennzahlen hohe Relevanz. Von großer Bedeutung für den Asset Owner sind auf operativer Ebene vor allem Zustandskennzahlen. Über diese Systematik können die richtigen Kennzahlen für jede Rolle definiert werden. Mit einer einhergehenden Priorisierung erfolgt dann der fast noch wichtigere Schritt: die Ermittlung der optimalen Anzahl an Kennzahlen und die Maßnahmenkonsequenz (Risikomanagement) dahinter. Geschieht dies nicht, verirrt man sich über kurz oder lang wieder im Dickicht aus Kennzahlen und Reports.  

 Durch kontinuierliche Überprüfung zur kontinuierlichen Verbesserung 

Allerdings bringt die beste Vorarbeit nichts, wenn das Konzept im Anschluss nicht oder nur mit viel Aufwand „auf die Straße gebracht“ werden kann. Hierbei ist es unabdingbar, dass die  Implementierung konsequent initiiert und überwacht wird. Ein geeignetes Werkzeug könnte hier ein Kennzahlensteckbrief sein, der als methodischer Anker der Implementierung dient und eine strukturierte Nachverfolgung ermöglicht. Der Steckbrief kann zusätzlich zur kontinuierlichen Verbesserung genutzt werden und in einem festgelegten Zeitraum gegen die Werte und Ziele geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Ein weiterer wichtiger Faktor der Implementierung sind darüber hinaus natürlich die Kollegen im Unternehmen – wo wir wieder bei meinem Sitznachbarn wären. Ohne die Unterstützung aus der Organisation hilft das beste Steuerungssystem nichts. Alle involvierten Mitarbeiter müssen einen Mehrwert in der Einführung oder Optimierung des Steuerungssystems sehen und den Prozess aktiv mitgestalten. 

Es muss also nicht immer ein unüberschaubares und lähmendes Dickicht aus Kennzahlen sein – mit einem strukturierten, auf die Werte des Unternehmens angepassten Ansatz können Kennzahlen einfach, sinnvoll und nach der Maßgabe „nur so viel wie notwendig“ implementiert werden. Mit meinem Unternehmen meliorate stehe ich seit 2011 Infrastruktureigentümern und -betreibern bei dieser Fragestellung zur Seite.  Mit unserer spezifischen Erfahrung kennen wir daher den Weg aus dem Urwald hinaus. Auch wenn die Situation bei jedem Infrastrukturbetreiber individuell ist, bringen wir bereits den richtigen Baukasten mit.

 

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